Schmerzlinderung mit medizinischem Cannabis bleibt umstritten: Die Risiken sind erheblich größer als die therapeutische Wirkung
Belgische Fachärzte für Schmerztherapie warnen vor einer allzu raschen gesellschaftlichen Akzeptanz des Einsatzes von Cannabinoiden.
Die Belgische Schmerzgesellschaft (BPS), die Flämische Anästhesiologische Vereinigung für Schmerzbehandlung (VAVP) sowie die Vereinigung „Groupe Régional Interdisciplinaire Douleur“ (GRID) warnen gemeinsam vor der Verwendung von medizinischem Cannabis zur Behandlung von Schmerzen. Sie stimmen darin überein, dass es unzureichende wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit von Cannabinoiden gibt und weisen auf die Risiken wie Sucht, Psychose und das erhöhte Risiko für Depressionen und Selbstmord bei jungen Erwachsenen hin. Die Organisationen zeigen ausserdem auf, dass bei der begrenzten Wirksamkeit von medizinischem Cannabis die Möglichkeit langfristiger Auswirkungen außer Acht gelassen wird. Aus diesem Grund besteht laut den Verbänden für Schmerztherapie ein dringender Bedarf an zusätzlicher Forschung, bevor Ärzte medizinisches Cannabis verschreiben können. Auch die breite Öffentlichkeit muss besser informiert werden.
Die Verbände für Schmerztherapie warnen vor voreiligen Berichten in verschiedenen Medien über den möglichen Erfolg dieser Medikamente. Hierbei werden die großen Risiken, die mit diesen Therapien einhergehen, oft ignoriert. Auf diese Weise erhält die breite Öffentlichkeit einen falschen Eindruck von Cannabinoiden.
„Medizinisches Cannabis ist noch kein Allheilmittel gegen Schmerzen. Obwohl in den Medien oft das Gegenteil behauptet wird, gibt es dafür keinrlei ausreichende wissenschaftliche Grundlage ", so Dr. Van Boxem, Vorsitzender der VAVP.
Beschreiten Sie nicht den Weg der Opioide
In ihrer Warnung, mit Cannabinoiden äußerst vorsichtig umzugehen, verweisen die Verbände für Schmerztherapie auf die negativen Erfahrungen mit Opioiden. Dies sind schmerzstillende Substanzen wie Morphin, die häufig zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. Das Nationale Institut für die Kranken- und Invaliditätsversicherung (INAMI) hat in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung auf die Wichtigkeit hingewiesen, die Verschreibung von Opioiden bei Nicht-Krebspatienten so weit wie möglich zu vermeiden, die Behandlung so kurz wie möglich und mit der niedrigstmöglichen Dosierung durchzuführen und alle Patienten umfassend über die Suchtrisiken und Nebenwirkungen zu informieren. Die INAMI fordert ebenfalls weitere wissenschaftliche Untersuchungen.
„Wir wollen verhindern, dass wir mit dem medizinischen Cannabis in derselben Sackgasse landen wie mit den Opioiden. Heute sind in den Vereinigten Staaten mindestens 2,5 Millionen Menschen von Opioiden abhängig und mehr Menschen sterben an Opioiden als Heroin. In den letzten 20 Jahren sind mehr als 400.000 Todesfälle ducrh Opioidkonsum aufgetreten. Bekannte Opfer des übermäßigen Opioidkonsums sind Superstars wie Prince, George Michael und Michael Jackson. Um solche Situationen mit Cannabinoiden zu vermeiden, sind kritische Zurückhaltung, korrekte Informationen und mehr Forschung unerlässlich." Dr. Leroy, Präsident des GRID.
Ein Gesetzentwurf ist kein Freischein
Anfang dieses Jahres wurde das Gesetz verabschiedet, das die Herstellung von Cannabis für medizinische Zwecke legalisiert. Das einzige zugelassene Medikament auf Cannabisbasis (Sativex®) darf jedoch nur von einem Neurologen bei therapieresistenter Spastik im Zusammenhang mit Multipler Sklerose verschrieben werden. Diesbezüglich gibt übrigens das belgische Zentrum für pharmakotherapeutische Informationen (BCFI) an, dass nur eine begrenzte Anzahl von Patienten mit dieser Indikation eine klinisch signifikante Verbesserung aufweist, ihre Wirksamkeit begrenzt ist und die langfristigen Auswirkungen unbekannt sind.
"Es ist eine falsche Auffassung entstanden, dass Cannabis auch gegen chronische Schmerzen wirken würde. Es gibt jedoch derzeit viel zu wenig Beweise dafür, dass medizinisches Cannabis bei der Behandlung chronischer Schmerzen wirksam ist.“ Dies wird durch eine Metaanalyse* von fast 50 Studien zur Wirksamkeit von Cannabis-Derivaten gegen Schmerzen belegt, bei denen fast 10.000 Patienten getestet wurden.
„Bisherige Studien unterstreichen also die eingeschränkte Wirkung von Cannabinoiden auf Schmerzen. Das Fehlen einer wissenschaftlichen Untermauerung der Wirkung in Bezug auf die Risiken ist unseres Erachtens ein ausreichender Grund, bei der Verwendung von medizinischem Cannabis äußerste Vorsicht walten zu lassen und die Bevölkerung hierüber korrekt zu informieren.“ Van Boxem, Vorsitzender der VAVP.
* Publikation Stockings et al. in 'Pain' - Oktober 2018: Systematische Übersicht und Netzwerk-Metaanalyse kontrollierter und beobachtender Studien zu Cannabis und Cannabis-Derivaten zur Behandlung chronischer, nicht krebsbedingter Schmerzen: „Der Beweis für die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei der Behandlung von chronischen nicht krebsbedingten Schmerzen ist sehr begrenzt.“, "Wir wollen nicht, dass eine Cannabis-Epidemie die von Opioiden ersetzt."